Die richtigen Lehren gezogen
Kurz vor dem Start am Samstag beim TSV 1860 München stellen wir fünf Thesen zur kommenden Drittliga-Saison des SV Waldhof auf
Es gibt angenehmere Aufgaben zum Auftakt: Am Samstag (14 Uhr) eröffnet das Spiel bei 1860 München im stimmungsvollen Stadion an der Grünwalder Straße die Drittliga-Saison für den SV Waldhof. Zum Start in die neue Spielzeit stellen wir fünf Thesen auf.
These 1: Der SV Waldhof hat die richtigen Lehren aus der unter dem Strich verkorksten vergangenen Saison gezogen.
Das von der Vereinsspitze offensiv ausgegebene Ziel Zweitliga-Aufstieg wirkte in der Vorsaison leistungshemmend statt leistungsfördernd. Die Unruhe im Umfeld war ein treuer (und nerviger) Begleiter durch die vergangene Spielzeit. Bei jeder Niederlage wurden in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke sofort grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Teilweise mit Beiträgen weit unter der Gürtellinie.
Vor dieser Saison hielten sich die sportlich Verantwortlichen – und auch Präsident Bernd Beetz – zurück, wenn es um die Zielsetzung des SVW ging. Erst einmal das Team final zusammenstellen und dann schauen, was möglich sein könnte. Das ist die richtige Strategie, die flankiert wird von einer cleveren Einkaufspolitik, die weitgehend auf die Vorgehensweise setzt, mit der die Mannheimer unter Sportchef Jochen Kientz 2019 in die 3. Liga aufstiegen: Junge, hungrige und entwicklungsfähige Spieler zu verpflichten statt Profis, die ihre besten Zeiten schon hinter sich haben.
Dass der neue Trainer Rüdiger Rehm schon Wochen vor dem Saisonstart mit einem soliden personellen Grundgerüst arbeiten konnte, ist ebenfalls eine erhebliche Verbesserung zu den Vorjahren.
These 2: Es ist der Königstransfer dieses Sommers. Die Verpflichtung von Trainer Rüdiger Rehm beruhigt das zuletzt nervöse Umfeld und könnte der Startschuss für den kontinuierlichen Aufbau einer Aufstiegsmannschaft sein.
Kredit ist eigentlich ein Begriff aus dem Wirtschaftsleben – aber Rüdiger Rehm besitzt beim SV Waldhof jede Menge davon. Der 44-Jährige verfügt als ehemaliger SVW-Profi über den nötigen Stallgeruch. Er kennt die Eigenheiten des Vereins und hat seine Expertise schon bei mehreren Stationen in der 2. und 3. Liga nachgewiesen. Rehm gilt als Aufbau- und Entwicklungstrainer – und ist damit genau die richtige Wahl für die Mannheimer.
Im Gegensatz zu seinem schnell scharf in die Kritik geratenen Vorgänger Christian Neidhart werden es die Fans Rehm und seinem neuen Team verzeihen, wenn die Ergebnisse in manchen Phasen einmal nicht stimmen sollten. Da hilft natürlich auch die Tatsache, dass von der Zielsetzung „Der Aufstieg ist ein Muss“ abgerückt worden ist.
Ohne die Leistungen in den Vorbereitungsspielen überbewerten zu wollen: Man kann schon in einem sehr frühen Stadium der Saison erkennen, welchen Plan Rehm verfolgt und nach welchen Prinzipien er Fußball spielen lassen will. Aggressives Verteidigen, schnelles Umschalten (nach vorne und hinten), Dynamik über die Flügel, ein zentraler Mittelstürmer als Zielspieler, der auch mit Flanken bedient werden soll. Das lässt sich alles gut an – trotz des kleinen Dämpfers beim 0:1 gegen Eintracht Frankfurt II, als die Waldhöfer ihre Generalprobe verpatzten und spielerisch relativ wenig anzubieten hatten.
These 3: Die Wiederentdeckung des Jugendkurses auf dem Transfermarkt macht Hoffnung für die Zukunft.
In etlichen Ligaspielen der Vorsaison herrschte beim SV Waldhof ein echter U-23-Notstand. Die Regel, laut der jeder Drittligist mindestens vier U-23-Spieler im Spieltagskader haben muss, die für eine DFB-Auswahlmannschaft spielberechtigt wären, konnte oft nur erfüllt werden, wenn der junge Lucien Hawryluk statt des etatmäßigen zweiten Torhüters Morten Behrens auf der Bank saß. Teils blieb auch für einen Routinier wie Marc Schnatterer nur der Platz auf der Tribüne.
Auf diese Problematik hat Sportchef Tim Schork reagiert. Die bisher zehn Zugänge haben ein Durchschnittsalter von nur 23,1 Jahren, vier Verpflichtungen fallen unter die U-23-Regel. Zum Vergleich: Die älteste Startelf unter Trainer Neidhart war im Schnitt 29,6 Jahre alt. Der neue Jugendkurs ist eine Investition in die Zukunft, die sich auszahlen könnte: Der österreichische Flügelstürmer Angelo Gattermayer (21 Jahre, Vertrag bis 2026) hatte Angebote von höherklassigen Vereinen und entschied sich für den SVW. Auch Mittelfeld-Mann Per Lockl (22, Vertrag bis 2025) will in Mannheim seinen Durchbruch schaffen.
Dieses „Karriere-aufwärts“-Konzept auf dem Transfermarkt passt zur DNA des SVW, bietet die Chance zum kontinuierlichen Aufbau eines Teams, schont die Finanzen – und könnte mindestens mittelfristig am Ende auch den erhofften Erfolg bringen.
These 4: Die Gegentorflut ist Geschichte, der SVW wird sich defensiv deutlich stabiler präsentieren.
Spötter würden – nicht zu Unrecht – sagen: Schlimmer kann es ja auch nicht mehr werden. In der Tat: Die 65 Gegentore des Tabellensiebten der Vorsaison lesen sich wie die Bilanz eines Absteigers. Der SVW war eine der Schießbuden der 3. Liga. „Das hat mir tatsächlich am meisten im Magen gelegen. Das hat mich sehr gestört“, sagte Außenverteidiger Laurent Jans vor zwei Wochen. Trainer Rehm hat betont, dass ein Fokus der Trainingsarbeit in der Vorbereitung auf dem Komplex „defensive Stabilität“ lag.
Helfen werden dem neuen Waldhof-Coach dabei auch einige Neuzugänge: In Lockl und Julian Rieckmann gibt es neuerdings zwei klar defensiv denkende Sechser, in der Innenverteidigung wurde mit dem früheren Magdeburger Tim Sechelmann die körperliche Komponente gestärkt. Das war auch notwendig. So einfach wie in der vergangenen Saison dürfte es garantiert nicht mehr werden, gegen den SV Waldhof Tore zu erzielen.
These 5: Um ein ernsthafter Kandidat auf den Zweitliga-Aufstieg zu sein, fehlt dem Waldhof im Angriff ein Unterschiedsspieler mit der entsprechenden Quote.
In Topscorer Dominik Martinovic verließen den SV Waldhof zwölf Tore und sieben Vorlagen in Richtung Zweitliga-Aufsteiger SV Elversberg. Einen adäquaten Ersatz konnten die Mannheimer bisher nicht verpflichten. Vor allem aus finanziellen Gründen, wie Schork zugab. „Den typischen Neuner suchen alle und wenn man es sich leisten kann, kann man sich auch jemanden rauspicken. Aber es gibt Bereiche, in die kommen wir einfach nicht rein“, sagte er dieser Redaktion.
Für das Sturmzentrum verpflichteten die Kurpfälzer den bulligen Yann Mabella, der in der 2. belgischen Liga für Royal Excelsior Virton in der vergangenen Saison allerdings auch nur viermal getroffen hat. Die Hoffnungen ruhen daher auf Pascal Sohm, der unter Neidhart vor allem als hängende Spitze eingesetzt wurde und – auch wegen dieser zurückgezogenen Positionierung – in der Saison 2022/23 lediglich fünfmal traf.
Seine beste Drittliga-Quote schaffte der 31-Jährige in der Saison 2019/20 beim Halleschen FC (zwölf Tore/sieben Vorlagen). Selbst wenn Sohm in dieser Spielzeit an diese Werte noch einmal anknüpfen könnte, bleibt festzuhalten: Verglichen mit Konkurrenten wie dem SV Sandhausen (Rouwen Hennings), Dynamo Dresden (Stefan Kutschke, Manuel Schäffler) oder dem 1. FC Saarbrücken (Kai Brünker/Patrick Schmidt) fehlt im SVW-Aufgebot ein klassischer Torjäger mit gehobenem Niveau. Und den benötigt man normalerweise, um Ansprüche nach ganz oben anzumelden.
Mannheimer Morgen 03.08.2023