Quelle: Die Rheinpfalz am Sonntag vom 14.05.2023
Coach stellt die Sinnfrage
VON MICHAEL WILKENING
MANNHEIM. Christian Neidhart war angeschlagen. Nicht gesundheitlich, denn den Trainer des SV Waldhof Mannheim hatte nicht etwa eine Erkältung heimgesucht, sondern durch Rufe gegen seine Person. „Heute hat auch die Kurve hinter dem Tor meinen Rauswurf gefordert“, sagte Neidhart: „Das schüttele ich nicht so einfach ab.“ Ab Mitte der zweiten Halbzeit eines in Teilen gruseligen Kicks des SV Waldhof Mannheim gegen den VfB Oldenburg hallten Neidhart-Raus-Rufe durch das Carl-Benz-Stadion. Die Zuschauer arbeiteten sich am Übungsleiter ab, nachdem die Spieler unten auf dem Feld gegen den Aufsteiger, der verzweifelt gegen den direkten Wiederabstieg ankämpft, mit 1:3 in Rückstand geraten waren. Die Stimmung rund um den Drittligisten, der ambitioniert in die Saison gestartet war und bis vergangene Woche berechtigte Hoffnung auf den Aufstieg haben durfte, ist mit „schlecht“ noch wohlwollend umschrieben. Neidhart trägt daran Verantwortung, ist aber nicht für alles verantwortlich. „Ich bin eh alleine, gemeinsam mit Tim Schork“, sagte der Trainer: „Nach solchen Tagen ist nie einer da, der im gesamten Umfeld mal Ruhe reinbringt.“ Das war eine leicht verklausulierte Grußadresse an den mächtigen Mäzen und Vereinspräsident Bernd Beetz. Neidhart fehlt die Rückendeckung von oberster Stelle. Nach dem bitteren 1:3 gegen Oldenburg waren weder Sportchef Tim Schork noch Beetz sichtbar. Nach Siegen tummeln sich die Verantwortlichen oft auf dem Rasen mit den Spielern, nach der Pleite gegen Oldenburg war niemand zu sehen. Marc Stendera (20.) und Oliver Steuer (23.) sorgten mit ihren Treffern in der ersten Halbzeit für eine 2:0-Führung des Aufsteigers, der durch den Sieg weiter auf den Klassenerhalt hoffen kann. Den 1:2-Anschlusstreffer von Adrian Malachowski (61.) konterte Rafael Brand zwei Minuten später mit dem Tor zum 3:1. Die Waldhöfer waren sichtbar in ihrer Gesamtheit nicht bereit, alle Reserven für einen Sieg zu mobilisieren, was ein beträchtlicher Teil der 7777 Zuschauer zur Pause mit Pfiffen und in der zweiten Halbzeit mit Neidhart-Raus-Rufen „kommentierte“. Neidhart wirkte niedergeschlagen und stellte (sich) die Sinnfrage. „Es muss ja auch dem Trainerteam Spaß machen, in einem Verein zu arbeiten“, erklärte der 54-Jährige. „Es geht ja um Rückendeckung, und diese Rückendeckung habe ich nie richtig gespürt.“ Das hörte sich nach Abschied an, wenngleich der Vertrag des Niedersachsen noch ein Jahr Gültigkeit besitzt. So wollte das der Fußballlehrer aber nicht verstanden wissen, wie er auf Nachfrage betonte. „Wir haben es sportlich nicht hinbekommen und dieser Verantwortung stelle ich mich“, sagte Neidhart: „Bei den anderen Sachen bin ich nicht der erste Trainer, der sich aufregt.“ Die Trainingsbedingungen am Alsenweg bemängelte bereits Neidhart-Vorgänger Patrick Glöckner, die fehlende Bereitschaft der Klubverantwortlichen, in die Infrastruktur zu investieren, ebenfalls. Zwei Spieltage stehen in der aktuellen Spielzeit noch an, zunächst am kommenden Freitag beim TSV 1860 München, danach im eigenen Stadion gegen den MSV Duisburg. Nach der peinlichen Vorstellung gegen Oldenburg und der sich daran anschließenden verbalen Entladung des Trainers stehen nun aber nicht die Fragen nach einer Startformation für die nächste Partie im Raum, sondern die nach der Sinnhaftigkeit eines künftigen Miteinanders. Die Reaktion der Führungsspitze auf die Einlassungen des Cheftrainers bleibt abzuwarten.